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Text von Annemarie Schlief

Kibera, Kenia, 12:00 mittags

Sylestine Awino, 34 Jahre alt, zweifache Mutter und Bewohnerin Kenias größten Slums, wird ihr und ihren Kindern heute kein Mittagessen bieten können, da ihre finanzielle Lage es der Familie nicht ermöglicht zwei richtige Mahlzeiten pro Tag zu genießen. So sieht das alltägliche Leben von sehr vielen der 170.000 – 2.000.000 Bewohner*innen Kiberas aus. In den afrikanischen Slums herrscht hohe Arbeitslosigkeit, die gepaart mit Perspektivenlosigkeit, an den Menschen nagt. Die sanitäre Ausstattung ist kaum vorhanden und durch fehlende Abwassersysteme, verdreckte Bäche und enorme Müllablagerungen gekennzeichnet, was zu hohen Infektionsraten mit Erkrankungen wie Cholera bei den Bewohnerinnen und Bewohnern führt.

Genau diese verheerenden Umstände bilden die Grundlage für den neuesten touristischen Trend – den Slum-Tourismus.

Diese Art der Erkundungstouren ist das Reisen hin zu Armenvierteln, um sozial-benachteiligte Teile einer Stadt oder einer Region kennenzulernen. In den letzten Jahren stieg die Anzahl der Slum-Tourist*innen in Kibera beträchtlich, was teilweise große internationale Firmen lockte, die in diesem Trend Profit witterten. Das Angebot erstreckt sich über vielfältige Aspekte. In Südafrika gibt es sogar ein Hotel im „Slum-Look“, das den Besucher*innen das Gefühl geben soll, in einem Armenviertel zu übernachten, jedoch ohne „Gefahren“ ausgesetzt zu sein. Standardmäßig werden aber geführte Touren zu Fuß durch die Slums angeboten, die das Leben der Bewohner*innen, die schlechte Infrastruktur sowie das dort herrschende Leid und Elend zeigen sollen.

Obwohl es Befürworter*innen von Slum-Tourismus gibt, sind viele Kenianer*innen wütend auf die herrschende Ungerechtigkeit. Sie sind verärgert über diese Touren und die privilegierten Menschen, die in ihre vertraute Umgebung eindringen, um sie wie Tiere im Zoo zu betrachten. Sylestine Awino, vom ersten Absatz des Artikels, fühlt sich dabei wie ein Objekt, das ohne Erlaubnis fotografiert und angestarrt wird. Aus Angst vor den Tour-Guides lassen die Menschen dieses Schicksal aber über sich ergehen. Es scheint nur zu verwunderlich für Kiberas Bewohner*innen zu sehen wie oftmals Amerikaner*innen und Europäer*innen mit Rucksack und Kamera bepackt durch die verdreckten und vermüllten Straßen ziehen, um zu besichtigen, wie andere Menschen leben oder besser gesagt überleben.

Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) appelliert:

“UNWTO is guided by the belief that tourism can make a meaningful contribution to people’s lives and our planet. This conviction is at the very heart of the Global Code of Ethics for Tourism, a roadmap for tourism development. I call on all to read, circulate and adopt the Code for the benefit of tourists, tour operators, host communities and their environments worldwide.” 

Weltorganisation für Tourismus

In diesem Sinne sollten Tourist*innen bevor sie deren Reisen antreten, überlegen wie ethisch korrekt deren Unternehmungen sind, um Einheimische nicht vor den Kopf zu stoßen.

What would happen to an African like me in Europe or America, touring and taking photos of their poor citizens?

SYLESTINE AWINO, KIBERA RESIDENT

Nachtrag der Autorin:
Slum-Tourismus ist nicht nur in Kibera, Kenia ein großes Problem. In Südafrikas „Townships“, Brasiliens „Favelas“ oder Indiens Slums, die als die größten Armenviertel weltweit gelten, herrschen in den Gebieten vor den Toren der großen Städte enorme soziale, sanitäre und gesundheitliche Bedingungen, die das Leben der Menschen unfassbar schwierig gestalten.

Quellen:
http://humansciences.ku.ac.ke/images/stories/research/BENEFITS-OF-SLUM-TOURISM.pdf
https://monami.hs-mittweida.de/frontdoor/deliver/index/docId/10010/file/Bachelorarbeit_Elena_Reiner_38817.pdf
https://www.aljazeera.com/features/2018/7/30/we-are-not-wildlife-kibera-residents-slam-poverty-tourism

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